Was passiert, wenn sich Zellen nicht mehr teilen können? Sie gehen in den programmierten Zelltod, auch Apoptose genannt und machen so Platz für neue Zellen. Doch das scheint nicht immer der Fall zu sein. Es gibt noch einen Zwischenzustand, in den die Zellen wechseln können: die sogenannte „Seneszenz“. Das Wort stammt aus dem lateinischen und bedeutet so viel wie „alt werden“ oder „altern“. Diese seneszenten Zellen haben zu viel Schaden an ihrem Erbmaterial gesammelt und können sich nicht mehr weiter teilen – sterben allerdings auch nicht ab.
Was uns in jungen Jahren wahrscheinlich vor Entartung schützt, kann später zu einer Belastung für den Körper werden. Je mehr seneszente Zellen sich ansammeln, desto größer ist die „Last der Untoten.“ In diesem recht neuen Forschungsgebiet untersuchen die Wissenschaftler den Effekt von sogenannten Senolytika. Das sind Moleküle, die dem Körper helfen überflüssige, seneszente Zellen loszuwerden. Wir geben dir einen Überblick über dieses spannende Feld der Alterswissenschaft, erklären dir was man unter dem Hayflick-Limit versteht, wie seneszente Zellen zum Alterungsprozess beitragen und welche Möglichkeiten erforscht werden, um die „Untoten“ aus unserem Organismus zu vertreiben.
Der Zellzyklus
Zunächst einmal müssen wir uns mit dem Zellzyklus beschäftigen. Keine Sorge, es wird nicht um jeden einzelnen molekularen Schritt gehen, vielmehr sollst du einen Überblick erhalten, damit du den Effekt von senolytischen Molekülen besser verstehst.
Unser Körper besteht aus hunderten Millionen Zellen. Ob Haut-, Muskel, Darm-, Immun-, oder Blutzelle – all diese unterschiedlichen Zellen erfüllen ihre Aufgabe im Körper, altern über die Zeit hinweg und verlieren damit letztlich ihre Funktion – das ist ein ganz normaler Prozess. Damit die übergeordneten Körperfunktionen erhalten bleiben unterlaufen die Zellpopulationen permanenten Erneuerungsprozessen, wobei sich die Zellen teilen und ausgehend von Stammzellen ersetzt werden.
Das Hayflick-Limit
Machen wir das Ganze ein wenig praktischer. Eine Bindegewebszelle (Fibroblast) ist eine ziemlich unförmige Zelle, die du dir wie eine große Fabrik vorstellen kannst. Im Inneren der Zelle befindet sich ein Zellkern (der die DNA enthält) und drumherum verschiedene Zellorganellen (Produktionsmaschinen), die alle möglichen Proteine herstellen. Am häufigsten werden, die für das Bindegewebe essenziellen Glycosaminoglycane und Kollagen produziert.
Möchte sich ein Bindegewebszelle vermehren, tut sie dies, indem sie in einem ersten Schritt eine exakte Kopie seiner DNA anfertigt. In dieser „Anbauanleitung“ ist genau beschrieben, welche Komponenten für den Zusammenbau eines neuen Fibroblasten benötigt werden. Sobald alles kopiert ist, teilt sich die Zelle und es entstehen zwei identische Bindegewebszellen.
Bei diesem Prozess geht allerdings immer ein wenig DNA verloren. Die Enden der DNA, auch Telomere genannt, werden kürzer. Glücklicherweise ist das zunächst einmal kein Problem, da die Natur sich zwei sehr clevere Schutzmechanismen ausgedacht hat. Erstens sind die Telomere eine Art Schutzschild. Hier steht keine relevante Information für Proteine und wenn hier einige Basenpaare verloren gehen, ist der „Bauplan“ immer noch korrekt. Zudem gibt es das Enzym Telomerase, welches die aufgebrauchten Enden wieder auffüllen kann. Da die Telomerase allerdings nur in ausgewählten Zellen (Stammzellen, Tumorzellen) aktiv ist, gibt es gewissermaßen eine Teilungsobergrenze.
Einer der ersten, der dieses Phänomen entdeckt hat, war der Professor Leonard Hayflick. Bereits 1961 konnte er mit Fibroblasten experimentell beweisen, dass es diese natürliche Grenze, ab der sich die Zellen nicht mehr weiter teilen, tatsächlich gibt. Je nach Zellart, befindet sich dieses nach ihm benannte „Hayflick-Limit“ bei etwa 50 Zellteilungen.
Wusstest Du? Mit einem Anteil von etwa 30% ist Kollagen das am häufigsten auftretenden Eiweiß im Körper. (R) Dabei hat es ganz unterschiedliche Aufgaben. Im Knochen wird von Kollagen ein Höchstmaß an Festigkeit gefordert, während Blutgefäße eher elastisch und dehnbar sein müssen. Für das wandlungsfähige Protein Kollagen ist das kein Problem. Mit dem Alter wird die Kollagenproduktion des Körpers allerdings immer geringer. Es kommt zur Hautalterung und Faltenbildung. Mit Hilfe von Kollagenpeptiden kannst du diesen Verlust wieder ausgleichen. (R)
Was passiert nach dem Hayflick-Limit?
Der Fibroblast ist nun an seinem persönlichen Teilungslimit angelangt. Nach 50 Teilungen haben sich zu viele Schäden in der DNA angesammelt. Entsprechend würde der „Bauplan“ für eine neue Zelle kritische Fehler enthalten, welche zu einer ernsthaften Gefahr in Form von entarteten Zellen werden könnten. Was passiert also nun mit dem Fibroblasten?
Wahrscheinlich hast du schonmal von der Apoptose gehört, dem programmierten bzw. kontrollierten Zelltod. Der Gegenpart dazu ist die Nekrose, wo Zellen durch schädigende äußere Einflüsse wie beispielsweise Hitze, Kälte, Nährstoff- oder Sauerstoffmangel absterben und dabei auch noch eine Entzündungsreaktion im umliegenden Gewebe auslösen.
Die sicherere Variante ist also jedenfalls die Apoptose. Ist unser Fibroblast an seinem Hayflick-Limit angelangt, geht er in diesen Zustand über. Fein säuberlich werden die einzelnen Bestandteile zerlegt, später durch Fresszellen abtransportiert und teilweise recycelt.
Unser Körper hat an und für sich eine sehr ausgeprägte Fähigkeit, gealterte bzw. seneszente Zellen zu erkennen. Nur so können diese dann auch effizient durch den programmierten Zelltod aussortiert werden. Zumindest ist das in einem jungen, funktionierenden Organismus der Fall.
Seneszenz – Zellen in Limbo
In der Realität werden nicht alle Zellen, die ihr „Hayflick-Limit“ erreicht haben, erkannt. Damit sich diese nicht unkontrolliert vermehren, hat sich in der Evolution ein Zwischenzustand durchgesetzt: Seneszenz. Warum Zellen entweder in die Apoptose oder in den Zwischenzustand übergehen, ist bis heute nicht wirklich geklärt.
In jungen Jahren, können seneszente Zellen aber zumindest eine Art Schutz gegenüber Krebserkrankungen sein. Aus Sicht unseres Organismus ist es besser, eine Zelle ruhig zu stellen, als eine Entartung zu riskieren. Mengenmäßig werden die untoten Zellen dann erst im Alter zum Problem. Bei Mausexperimenten waren bei jungen Tieren in etwa nur 1,4% der Bindegewebszellen seneszent – bei alten Mäusen was es schon das Zehnfache.
Im Alter ist das körpereigene Immunsystem nicht mehr in der Lage alle untoten Zellen zeitgerecht zu erkennen und die Apoptose einzuleiten. Das Resultat: die Population an seneszenten Zellen nimmt stetig zu. Das liegt aber nicht nur an der altersgeschwächten Funktion des Immunsystems, sondern die Zellen haben auch Mechanismen entwickelt, sich dem Zelltod zu widersetzen. Das beruht auf sogenannten „pro survival networks“ – auch Überlebensnetzwerke genannt. Außerdem können die seneszenten Zellen ihre umliegenden Zellen „infizieren“ und diese, auch wenn sie vorher gesund waren, selbst „stilllegen“.
Wusstest Du? Unser Körper hat im Laufe der Evolution viele clevere Wege erlernt, um fehlerhafte Zellen auszusortieren. Einer davon ist die Autophagie – auch als „zelleigene Müllabfuhr“ bezeichnet. Wird eine Zelle durch den anfallenden „Müll“ bereits vor Erreichen des Hayflick-Limits funktionsunfähig, dann kann sie durch die Autophagie vor dem programmierten Zelltod gerettet werden. Mit dieser ausgefeilten Methode werden zellinterne „Müllstoffe“ recycelt und die Zellen erlangen wieder ihre Funktion zurück.
Auch das Gebiet der Autophagie ist in der Alterforschung vertreten und eines der spannendsten Moleküle ist in dem Zusammenhang Spermidin. Es kann deinen Körper darin unterstützen alte Zellen wieder zu recyclen. Wenn du mehr über Spermidin erfahren willst, dann klicke hier.
SASPs – ein gefährlicher Cocktail
Was macht seneszente Zellen so „gefährlich“ für den Körper? Klar, sie stellen eine Menge „unnützen Ballast“ dar, aber das allein erklärt noch nicht ihre Rolle bei Erkrankungen wie Diabetes, Lungenfibrose, Herz-Kreislauferkrankungen, Übergewicht oder Demenz.
Seneszente Zellen teilen sich zwar nicht mehr, das heißt aber nicht, dass sie nicht stoffwechselaktiv sind. Ganz im Gegenteil, diese „Untoten“ produzieren eine Menge an Botenstoffen, deren Gesamtheit als „seneszenzassoziierter sekretorischer Phänotyp“, kurz SASP, bezeichnet wird. Hinter diesem komplizierten Namen verstecken sich hunderte verschiedene Moleküle. Von Entzündungsmediatoren, wie dem Interleukin, über eiweißspaltende Protasen bis hin zu Wachstumssignalen.
Die genaue Rolle dieses „Protein-Cocktails“ wird derzeit noch erforscht. In jungen Jahren kann er beispielsweise zu einer verbesserten Wundheilung führen, im Alter jedoch verdichten sich die Hinweise, dass SASPs für viele der negativen Folgen von seneszenten Zellen verantwortlich ist. Es ist aller Voraussicht nach – wie immer in der Natur – ein Gleichgewicht. Sowohl zu wenig als auch zu viel schadet uns.
Was sind Senolytika?
Nachdem wir uns jetzt sehr ausführlich der grundlegenden Biologie der „untoten“ Zellen gewidmet haben, stellt sich nun die Frage, was wir mit diesem Wissen anfangen.
Wissenschaftler konnten in Tierexperimenten zeigen, dass die Ausschaltung seneszenter Zellen – in diesem Fall im Muskel-, Fett- und Augengewebe – zu einem späteren Auftreten von altersbedingten Erkrankungen führte. Dafür nutzten sie ein Protein, mit dem komplizierten Namen p16Ink4a und schalteten es in den Mäusen gezielt aus. (R)
Dies ist nur einer von vielen Wegen, die gezeigt haben, dass die Eliminierung von seneszenten Zellen im Alter zu einer Verbesserung der Gesundheit führt. Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Wir wissen nämlich mittlerweile, dass es nicht „einen“ Marker für Seneszenz gibt, sondern viele verschiedene. Auch haben die Zellen unterschiedliche Strategien entwickelt, um sich gegen das Immunsystem zu schützen.
Aus diesem Grund werden derzeit mehrere Substanzen erforscht, die auf verschiedenen Wegen den Körper bei der Eliminierung von „untoten“ Zellen unterstützen können. Diese Substanzen nennt man Senolytika.
Wusstest Du? p16Ink4a findet man auch in den seneszenten Leberzellen. Sammeln sich diese über eine längere Zeit an, tragen die entzündungsfördernden Signale aus den Zellen (SASP) zu einer Verstärkung der Entzündung und einer vermehrten Fettansammlung in der Leber bei. Die häufigste Ursache dahinter ist die nicht-alkoholische Fettleber, auch NAFLD, genannt. (R,R) In dieser Studie (R) konnten die Forscher zeigen, dass sowohl die genetische Ausschaltung von p16Ink4a, als auch die Therapie mit Quercetin und einem anderen Stoff die Anzahl der „untoten“ Zellen verringerte. In der Folge sammelte sich weniger Fett in der Leber an, was zu einer Verbesserung der Krankheit führte. Da weltweit etwa ein Viertel aller Menschen eine NAFLD aufweisen (R), ist dies eine vielversprechende Entdeckung für die Zukunft.
Quercetin – ein aussichtsreicher Kandidat aus dem Pflanzenreich
Wie findet man nun Senolytika? Auch dieser Frage sind ForscherInnen nachgegangen und haben eine Reihe von molekularen Stoffwechsel- und Signalwege identifiziert, die bei den untoten Zellen eine Rolle spielen. Jetzt mussten sie „nur noch“ die entsprechenden Moleküle finden, die in genau diese Signalwege eingreifen können. In ihrer Arbeit stellten sie 16 Moleküle als möglichst aussichtsreich heraus.
Einer davon ist das Quercetin. Quercetin ist ein Flavonoid, welches man in den Schalen von Äpfeln findet. Es lässt diese bitter schmecken. Professor James L. Kirkland von der renommierten Mayo Clinic, war einer der ersten, die das Potential von Quercetin entdeckten.
Quercetin ist aus mehreren Gesichtspunkten spannend in der Langlebigkeitsforschung. Es aktiviert zum einen den Langlebigkeitspfad AMPK, welcher gewichtsreduzierende und antidiabetische Wirkungen verspricht. (R) Und zweitens werden die seneszenten Zellen effektiver entsorgt. (R)
Hier erfährst du mehr über das Molekül Quercetin.
Luteolin
Ebenfalls auf dieser Liste zu finden ist das Luteolin, ein weiterer Vertreter der Flavonoide. Luteolin findet man in Olivenöl, Rosmarin und Thymian. Es kann auf ähnliche Weise wie Quercetin in den Stoffwechsel von seneszenten Zellen eingreifen, in dem es zum Beispiel NF-kB, einen Entzündungsmediator, herunter reguliert.
Sport und Fasten – so werden wir „Untote“ los
Nicht nur Medikamente können sich auf seneszente Zellen auswirken. Auch Fasten und Sport haben nachweisbare Effekte in unserem Körper. Zum Thema Fasten findest du bereits einen sehr ausführlichen Artikel in unserem Magazin.
In diesem Review, einer Zusammenfassung von vielen Einzelstudien, konnte auch nachgewiesen werden, dass Sport die Anzahl der seneszenten Zellen verringern konnte.
Unter anderem wiesen sie nach, dass die Spiegel von p16Ink4a bei Menschen mit höherer physischer Aktivität niedriger waren. Auch andere Marker waren sowohl in Menschen- als auch in Tierstudien positiv beeinflusst.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gebiet der Seneszenz und Senolytika ein vielversprechender Ansatz für zukünftige Interventionen bietet. Die Entdeckung der „untoten“ Zellen hat zunächst einmal für viel Verwirrung gesorgt, aber so langsam bringen immer mehr Forschungsarbeiten Licht in das komplexe Themenfeld. Seneszente Zellen sind dabei nicht immer gleich schlecht – gerade in kleinen Mengen und in jungen Jahren scheinen sie einen evolutionären Sinn zu haben. Im Alter jedoch macht die große Anzahl der „untoten“ Zellen und der „giftige Cocktail“ des SAPS unserem Körper immer mehr Probleme. Hier verspricht das Forschungsfeld der Senolytika mögliche neue Ansätze.
Mit Quercetin und Luteolin sind bereits zwei Naturstoffe in verschiedenen Studien erfolgreich erprobt worden und zusätzlich kannst du durch ein wenig Sport deine eigenen senolytischen Kräfte stärken.
Literatur:
- https://www.longecity.org/forum/topic/113334-what-are-senolytics-a-summary-of-senotherapeutics/
- Van Deursen JM. (2014) The role of senescent cells in ageing. 509 (7501): 439-46. doi: 10.1038/nature13193.
- Baker DJ, Wijshake T, Tchkonia T et al. (2011). Clearance of p16Ink4a-positive senescent cells delays ageing-associated disorders. 479 (7372):232-6. doi: 10.1038/nature10600.
- Freund A, Orjalo AV, Desprez PY, Campisi J. (2010) Inflammatory networks during cellular senescence: causes and consequences. Trends Mol Med. 16(5):238-46. doi: 10.1016/j.molmed.2010.03.003
- Ellison-Hughes GM (2020), First evidence that senolytics are effective at decreasing senescent cells in humans. doi: 10.1016/j.ebiom.2019.09.053.
- Camell Christina D. and Yousefzadeh Matthew J. (2021) Senolytics reduce coronavirus-related mortality in old mice. Science 373 (6552). doi: 10.1126/science.abe4832
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Der Beitrag Seneszenz – was “untote” Zellen mit dem Altern zu tun haben erschien zuerst auf MoleQlar Longevity.